Existenzanalyse und Logotherapie

Die Existenzanalye und Logotherapie ist vom österreichischen Bundesministerium für Gesundheit (derzeit: BMASGK) als eigenständige psychotherapeutische Methode anerkannt.

Existenzanalyse und Logotherapie sind zwei ursprünglich überwiegend synonym verwendete Begriffe für eine vom Wiener Psychiater und Neurologen Viktor Emil Frankl (1905 – 1997) in den 1930er Jahren begründete und seit den 1980ern in der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE) vor allem von seinem ehemaligen Mitarbeiter Alfried Längle, einem Allgemeinmediziner und Psychologen, erweiterte Psychotherapiemethode, die neben der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers als so genannte dritte Wiener Schule der Psychotherapie bekannt wurde. Frankl übte Kritik an den reduktionistischen Menschenbildern der etablierten psychotherapeutischen Schulen und setzte ihnen das Konzept der Dimensionalantologie entgegen. Dieses Menschenbild knüpft zwar an der abendländischen Tradition an, indem es Leib, Seele und Geist als drei anthropologische Dimensionen beschreibt, jedoch setze sich der Mensch nicht einfach aus diesen Aspekten zusammen, sondern werde als Einheit aus unterschiedlichen Seinsweisen verstanden. Nach Auffassung Frankls kann sich der Mensch aufgrund seiner geistigen Dimension über sein Psychophysikum, worin die somatische und die seelische Dimension zusammengefasst sind, erheben. Während letzteres erkranken kann, bleibt die geistige Dimension des Menschen heil, sie steht nach Ansicht Frankls jenseits jeder Krankheit.

Die Grundlagen dieser psychotherapeutischen Richtung liegen in der gegen den Psychologismus gerichteten Strömung der Phänomenologie, die etwa von Edmund Husserl oder Karl Jaspers vertreten wurde, der humanistischen Psychologie und der Existenzphilosophie.

Nach heutigem Verständnis bezeichnet Existenzanalyse die psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinn, während in ihrem Spezialgebiet, der Logotherapie, abgeleitet von logos, dem griechischen Begriff für Sinn, der Fokus auf die Sinnproblematik respektive Sinnlosigkeitsgefühle gerichtet wird. Die Beschäftigung mit dem Thema Sinn ist zentral für die Existenzanalyse. Frankl bezeichnete die Umkehrung der Frage Was ist der Sinn des Lebens? als Existenzielle Wende. Nicht wir Menschen haben einen Anspruch, dem Leben selbst Fragen zu stellen, sondern das Leben stellt die Fragen an uns im Sinne von zu bewältigenden Aufgaben und Herausforderungen. Unsere Freiheit besteht darin, dem Leben auf diese Fragen zu antworten, Stellung zu beziehen, Ver-Antwortung zu übernehmen.

Die Therapieform der Existenzanalyse wird bei allen Formen psychischer Erkrankungen (z.B. Angst, Depression, Hysterie), psychosozial (z.B. Suchtprobleme) oder psychosomatisch bedingter Verhaltensstörungen und Leidenszustände, Sexual- und Beziehungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen und Psychosen entweder als spezifische oder supportive Psychotherapie angewandt. Die Logotherapie ist dann als begleitende Behandlungs- und Beratungsmethode indiziert, wenn die Sinnfrage auftaucht. Logotherapie kommt insbesondere in der Behandlung existenzieller Krisen wie etwa der Begleitung schwerer Verlusterlebnisse (z.B. schwere Erkrankung, Todesfälle) und Orientierungsverlust (z.B. in der Pubertät) sowie in der Prophylaxe (Pädagogik) zur Anwendung.

 

Grundbegriffe und Methode:

Methodisch arbeitet die Existenzanalyse und Logotherapie vorwiegend mit dem Gespräch, wobei eine gewisse Offenheit für adjuvante und nonverbale Methoden gegeben ist (z.B. Imaginationen, kreative Mittel, Körperarbeit). Das Verstehen der eigenen Gefühlswelt und Lebensgeschichte hat unter der Bezeichnung Personale Existenzanalyse ein besonders großes Gewicht.

Die Existenzanalyse und Logotherapie definiert sich als ein an der Person ansetzendes Psychotherapieverfahren mit dem Ziel, eben dieser Person zu einem (geistig und emotional) freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit sich selbst und ihrer Welt zu verhelfen. Der Mensch vollzieht durch das in Freiheit und Verantwortung gestaltete Handeln eine sinnvolle Existenz, worin er sich als Mitgestalter erlebt.

Das heißt: Der Mensch soll durch die existenzanalytische Psychotherapie befähigt werden, mit innerer Zustimmung – plakativ als Ja bezeichnet – zum eigen Dasein, zu seinem Denken, Handeln und Fühlen, leben zu können.

Ausgangspunkt der Methode ist die Annahme, dass der Mensch existenziell auf Sinn ausgerichtet ist. Ein nicht erfülltes Sinnerleben kann zu psychischen Erkrankungen führen, seelische Krankheiten werden somit von einem eingeschränkten individuellen Sinnbezug begleitet.

Zentrales Wirkelement und Ziel der Existenzanalyse ist die Herstellung einer dialogischen Offenheit nach innen und zur äußeren Welt, in der die Person ihre Fähigkeiten entfalten und einsetzen kann und die Grundbedingungen personaler Existenz erfüllt sind. Vier Grundmotivationen greifen diese Grundfragen oder Grundthemen auf, die sich dem Menschen in seinem Dasein stellen und die als Grundbedingungen und Bewältigungsbereiche menschlicher Existenz erfahrbar werden. Ein teilweiser Verlust dieser Grundmotivationen macht die Existenz defizitär.

Frankl hatte in der Logotherapie das Sinnstreben als ursprüngliche und tiefste Motivation des Menschen betrachtet – es galt schlichtweg als die Grundmotivation des Menschen. Längle stellte in der praktischen Arbeit mit psychisch kranken Patienten fest, dass es oft kaum möglich ist, direkt auf das Thema Sinn zu fokussieren. Da etwa schwer depressiven Menschen der Sinn des Lebens an sich oder des eigenen Lebens im Speziellen kaum zugänglich sei, solle es in der Therapie vielmehr darum gehen, dass diese Person auf dem Fundament von Schutz, Halt und Raum den Wert des Lebens an sich und des eigenen Daseins wieder fühlen kann. Aus dieser Erfahrung heraus arbeitete Längle drei personale Grundmotivationen heraus, denen für ein erfülltes Leben zusätzlich zur vierten existenziellen Grundmotivation (Sinn) Beachtung geschenkt werden müsse. Eine gelingende Lebensbewältigung setzt demnach voraus, dass der Mensch eine vierfache Einwilligung oder innere Zustimmung gibt:

  1. Ja zur Welt – Motivation zum physischen Überleben

  2. Ja zum Leben – Motivation der psychischen Lebenslust

  3. Ja zum Selbst – Motivation zur personalen Authentizität

  4. Ja zum Sinn – Motivation zum existenziellen Sinn

 

In der ersten Grundmotivation, dem Dasein-Können oder Sein-Können in der Welt, geht es um den Weltbezug mit der grundsätzlichen Frage: Ich bin – kann ich (so) sein? Dabei stellen sich weitere Fragen nach Schutz, Raum und Halt. Sind diese Aspekte gegeben, entsteht daraus das so genannte Grundvertrauen – die Basis unseres Daseins.

In der zweiten Grundmotivation, dem Wertsein-Mögen, geht es um den Lebensbezug mit der grundsätzlichen Frage: Ich lebe – mag ich (so) leben? Um ein existenzielles Leben zu verwirklichen, braucht es im Leben die Nähe zu Menschen und Objekten, Beziehungen und Zeit als Raum für diese Beziehungen. Auf diesem Fundament ist der Mensch in der Lage, Zuwendung zu geben und zu erhalten. Daraus erwächst ein tiefes Wahrnehmen des Eigenwertes, den das Leben für die jeweilige Person an sich hat: den so genannten Grundwert.

In der dritten Grundmotivation, dem Selbstsein-Dürfen, geht es um den Selbstbezug mit der grundsätzlichen Frage: Ich bin ich – darf ich (so) sein? Dieses Dürfen bedarf dreier Voraussetzungen: Beachtung, Gerechtheit und Wertschätzung. Wenn ein Mensch gesehen und beachtet wird, entsteht ein Selbstbild in Abgrenzung zu anderen Personen. Daraus entwickelt sich ein Gefühl der Individualität und des eigenen Wertes. Das eigene Selbstbild gewinnt an Festigkeit, der Selbstwert wird begründet.

In der vierten Grundmotivation schließlich, dem Sinnvolles-Wollen, stellt sich die grundsätzliche Frage Ich bin da – wofür soll ich da sein? Der Mensch will Sinnvolles und sein Dasein verstehen. Er fragt nach dem Woher, dem Wohin und dem Wozu.

Das Dasein erhält einen existenziellen Sinn. Als Voraussetzung für eine erfüllende Existenz bedarf es eines Tätigkeitsfeldes, in dem der Mensch sich mit seinen Fähigkeiten und Werten einbringen kann, zudem braucht es eine Struktur oder einen Kontext, in den der Mensch eingebunden ist (z.B. Familie, Arbeitsumfeld). Der Mensch ist auf einen Wert in der Zukunft ausgerichtet, der erhalten oder geschaffen werden soll. Durch sein Handeln in der Orientierung auf ein Lebensziel errichtet sich der Mensch sein Lebenswerk. Er erlebt seine Erfüllung, sein Dasein erhält einen existenziellen Sinn.

Neben der Arbeit mit den Grundmotivationen, sind als therapeutische Schwerpunkte Methoden wie die Paradoxen Intention, die Personalen Positionsfindung oder die Biografische Methode, um nur einige zu nennen.